Vermutlich kennen Sie Yamaha. Es handelt sich um einen Konzern aus Japan, der nicht nur Klaviere baut, sondern über Musikinstrumente hinaus ein relativ großes Spektrum abdeckt. Von den Asiaten sagen wir ja gerne, dass diese unsere Ideen kopieren. Dabei übersehen wir zum einen, dass das Nachmachen eine sehr erfolgreiche Lernmethode ist, die zum Beispiel jedes Kind anwendet, wenn es die Vorbilder aus seiner Umgebung nachahmt. Zum anderen haben wir vergessen, dass Deutschland selbst Anfang 1900 in dem Ruf stand, die Produkte anderer nachzumachen und billiger auf den Markt zu bringen. Letzteres hat uns von den Engländern den Stempel Made in Germany eingebracht, dessen schlechtes Image wir erst nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Qualitätsmerkmal umkehren konnten. Mittlerweile haben viele dazu beigetragen, das Qualitätsmerkmal nicht zur verwässern, sondern regelrecht zu untergraben. Gerade die Klavierbauer aus Deutschland haben dazu wesentlich beigtragen, wie Sie in meinem Blog Pianoleaks lesen können. Daher kann man die Gelegenheit der Klavierstimmung eines Kleinklaviers von Yamaha nutzen, um sich mal den Stand dieses japanischen Klavierherstellers im Jahre 1977 genauer anzusehen.
Ein Kleinklavier zeichnet sich durch seine vergleichsweise geringe Höhe aus. Waren um 1900 noch Klaviere mit einer Höhe von 1,30 bis 1,50 m üblich, so entstanden daraus aufgrund von Materialeinsparung als einzig vorstellbarer Weg zur Gewinnoptimierung Instrumente, die lediglich noch 1,08 bis 1,15 cm hoch waren. Mit dem kleineren Klangkörper verbunden waren natürlich auch Verluste in der Qualität des Klangs. Auch die Spielart wurde in ihren Möglichkeiten eines ausdrucksstarken Klavierspiels eingeschränkt, da die Hebelverhältnisse der Klaviermechanik aufgrund der kleineren Bauart angepasst werden mussten. Das Kleinklavier hat letztendlich nicht dazu beigetragen, die Gewinnspannen der Klavierhersteller zu optimieren, da gleichzeitig mit dieser Entwicklung der konstruktiven Veränderung der Umsatz bei allen Herstellern um bis zu 70 Prozent sank. Gerade daher ist es interessant, um welche Lösungen sich der japanische Klavierbauer Yamaha bemüht hat, dem wir wie oben angeführt heute immer noch unterstellen, dass es sich hierbei ja nur um Kopien der besseren Pianos aus dem Westen handelt.
Dieses Kleinklavier überrascht zuerst einmal mit einer guten Stimmhaltung. Entgegen der Erwartung der Besitzer befand sich das Instrument immer noch auf der zuletzt vor 4 Jahren gestimmten Tonhöhe von 440 Hertz. Der Grad der Verstimmung war auch nicht sehr stark. Für die dauerhafte Stimmhaltung bekommt es also sofort einen dicken Pluspunkt.
Als nächstes erstaunt der für ein Kleinklavier gute Klavierklang. Der Bass ist für so ein niedriges Piano geradezu auffällig gut. Wie kann das sein?
Analysiert man das Innenleben, so fällt auf, dass es sich hier um einen so genannten Überkreuzsaiter handelt. Das heißt, die Basssaiten überkreuzen sich mit den Saiten der Mittellage sowie des Diskants. Auf dem Resonanzboden findet man daher auch zwei Stege. Über dem Spieltisch kann man erkennen, dass die Basssaiten im Vergleich zu den Saiten der Mittellage eine stärkere Schräge haben. Das führt dazu, dass die tiefen Saiten mehr Länge bekommen. Länge ist gerade im Bass ein entscheidendes Qualitätskriterium. Um dieses Kriterium zu optimieren, hat Yamaha eine vergleichsweise recht große Bassbrücke eingesetzt. Sie trägt dazu bei, durch die Positionierung des Stegs möglichst weit an den Rand die Saitenlänge zusätzlich zu optimieren. Gleichzeitig wird aber über die Brücke die Auflagefläche des Stegs auf dem Resonanzboden weiter vom Rand weg verlagert, da der Resonanzboden dort besser schwingen kann. Somit ist die Bassbrücke eine konstruktive Maßnahme, um einerseits die Stimmbarkeit im Bass zu verbessern, und gleichzeitig den Klang derart zu verzaubern, indem er uns spürbar unter die Haut geht.
Mit der größeren Schräge der Basssaiten wird jedoch ein konstruktionsbedingtes Problem verschärft. Denn durch das Überkreuzen der Saitenlagen bleibt im Schnittpunkt zwischen Bass und Mittellage nur wenig Raum für die Dämpfer. Von unten drängen die sich überkreuzenden Saitenlagen den Dämpfer nach oben. Doch direkt über den Dämpfer sitzen die Klavierhämmer. In der Regel lösen die Klavierbauer dieses Problem, indem die Dämpferfläche dieser Übergangstöne verringert wird. Das ist aber ungünstig, da es sich hierbei um die längsten Saiten der Mittellage handelt. Mit der Länge und Dicke der Saiten ist die Masse der Saiten verbunden. An der Masse der Saiten orientiert sich zum einen die Größe des Kopfes der Klavierhämmer, die diese Masse beim Anschlagen in Bewegung bringen müssen. Gleichzeitig orientiert sich aber ebenso die Dämpfung an der Masse, die es anschließend wieder ruhig zu stellen gilt. Daher werden die Dämpfer zum Bass hin länger und die Feder unmittelbar hinter den Dämpferpuppen wird stärker. Wenn man aber im Übergang die Dämpfer einfach soweit absägt, dass sie noch zwischen Saite und Hammer passen, reduziert dieser Eingriff die Qualität der Dämpfung im Übergang von der Mittellage zum Bass.
Yamaha bemüht sich an dieser Stelle um die Lösung des Problems im Interesse einer gleichermaßen guten Dämpfung, indem die Hammerstile im Übergang verlängert werden. Dadurch entsteht mehr Raum für die Dämpfer in dem Bereich des Übergangs. Das ist eine konkrete Maßnahme zur Qualitätsverbesserung eines konstruktiven Merkmals des modernen Klavierbaus, der sich bis vor kurzem ausschließlich an dem so genannten Überkreuzsaiter orientiert. Das ist insofern erwähnenswert, da das 2014 der Öffentlichkeit vorgestellte Una-Corda-Piano von David Klavins gleich mit mehreren Tabus des Klavierbaus gebrochen hat. Unter anderem ist das Una-Corda-Piano nämlich kein Überkreuz- sondern wieder wie früher ein Geradsaiter.
Aus der Sicht des Klavierstimmers ist ferner lobend zu erwähnen, dass Yamaha in diesem Kleinklavier die besseren Pure Sound Saiten verwendet hat. Diese Saiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den in der Regel bei den deutschen Klavieren verwendeten Saiten keine Nebenschwebungen haben. Diese Saiten sind rein, das heißt, ohne Störungen. Gehen wir davon aus, dass grundsätzlich alle Klavierstimmer darum bemüht sind, das bestmögliche Ergebnis für ihre Kunden zu erreichen. Doch aufgrund der Erfahrung, dass die Störungen innerhalb der Klaviersaiten zum Großteil derart massiv sind, dass man lediglich mit der traditionellen Technik des Gehörstimmens ausgerüstet an der komplexen Aufgabe der Klavierstimmung zumindest teilweise scheitert, rauben vielen Klavierstimmern letztendlich die Motivation, sich um das bestmögliche Ergebnis zu bemühen. Mein beruflicher Weg verlief außergewöhnlich. Zuerst sammelte ich auf dem üblichen Weg meine ersten Erfahrungen. Im Rahmen der Ausbildung zum Cembalo- und Klavierbauer lernte ich das Stimmen nach Gehör. Die nächsten 20 Jahre stimmte ich ausschließlich nach Gehör und erfuhr so von all den Problemen, Beschränkungen und der hohen nervlichen Anspannung, die mit dieser traditionellen Stimmtechnik verbunden ist. Dann ging ich als Freier Mitarbeiter für 10 Jahre in ein Klavierlager. Dort konnte ich extrem viel Erfahrung sammeln, da es sich bei dieser zentralen Sammelstelle von Pianos aus vielen Ländern der Welt damals unter anderem um das Hauptlager des Weltmarktführers Yamaha handelte. So lernte ich zum Beispiel zusätzlich zu der bereits vorhandenen Fähigkeit des Gehörstimmens den Umgang mit einem Frequenzmessgerät kennen. Aufgrund der Masse an Klavierstimmungen gelange es mir im Prinzip nebenbei, eine neue Stimmtechnik zu entwickeln. Dieses Verfahren schließt die scheinbar gegensätzlichen Methoden der Gerätestimmung und des Gehörstimmens nicht aus, sondern integriert sie: Die Hybrid-Stimmtechnik primaTEK©. Die zeitgemäßen Möglichkeiten ergänzen bei dieser neuen Stimmtechnik das traditionelle Wissen und Können. Die Methode entspricht unseren menschlichen Fähigkeiten der Informationsverarbeitung, da sie gleichzeitig Daten über das Auge und das Ohr verarbeitet. Die weit verbreiteten Störungen innerhalb der einzelnen Klaviersaite können somit ursächlich analysiert und minimiert werden. Für den Klavierstimmer bedeutet die Hybrid-Stimmtechnik den nervlichen Schongang und es entstehen Freiräume für den konstruktiven Dialog mit dem Kunden. Doch kehren wir wieder zurück zu unserem Kleinklavier von Yamaha: Dieses Instrument aus dem Jahr 1977 zeichnet sich nun zusätzlich zu den besseren Saiten dadurch aus, dass die Saiten bis in hohen Diskant schwebungsfrei bleiben. Das ist insofern erstaunlich, da man im Internet den Hinweis findet, dass die Pure Sound Saiten im Diskant eine zu geringe Zugkraft hätten und man daher im Diskant die herkömmlichen Saiten mit höherer Zugkraft eingesetzen muss. Daher findet man oftmals bei gut stimmbaren Pianos mit dem offensichtlich besseren Saitenmaterial das Muster, dass die Störungen im Diskant zunehmen. Doch die Praxis zeigt, dass es zu diesem Muster Ausnahmen zu geben scheint, die bislang im Interesse der Servicefreundlichkeit zu wenig konsequent verfolgt worden sind. Servicefreundlichkeit ist einer der Schlüssel für die erfolgreiche Vermarktung des Klaviers, da die Klavierstimmer aktuell aussterben. Das heißt, der Klavierspieler muss befähigt werden, sein Instrument selber zu stimmen. Das ist grundsätzlich möglich, wenn das Piano aufgrund des verwendeten Saitenmaterials hinsichtlich der Stimmbarkeit einwandfrei ist.
Und wie gut ist heute Yamaha? Der Vorteil eines Konzern mit verschiedenen Geschäftsfeldern besteht darin, dass man sich um ein übergreifendes Konzept bemüht. Das haben die Japaner geleistet, indem sie nicht nur Musikinstrumente herstellen, sondern Musikunterricht mit einer eigenen Musikpädagogik anbieten, die interessanterweise nicht nur darauf abzielt, ein Musikinstrument spielen zu können, sondern Improvisieren und Komponieren zu lernen. In der neuen Kategorie des Klavierbaus, dem Hybrid-Piano, zeichnet sich Yamaha darüber hinaus mit sensationellen Innovationen aus wie zuletzt das TransAcoustic-Piano beweist.
Aus Sicht des Marketings muss man den deutschen Klavierherstellern diesbezüglich ein komplettes Versagen vorwerfen. Es findet weder ein Kampf um die eigene Kultur statt, noch ein Wettbewerb um den Kunden mittels Weiterentwicklungen durch Integration der zeitgemäßen Möglichkeiten. Die einzige Hoffnung der deutschen Klavierhersteller ist der rasant wachsende chinesische Markt, was dazu geführt hat, dass sich der einstmals deutsche Premiumhersteller Schimmel aus Braunschweig im Januar 2016 an den größten chinesischen Klavierhersteller verkauft hat. Schon lange ist auf dem scheinbar etablierten Klaviermarkt das Phänomen zu beobachten, dass mehr oder weniger alle Klavierhersteller krampfhaft nach Käufern suchen. Auch darin unterscheidet sich Yamaha. Denn die Japaner suchen keinen Käufer, sondern sie kaufen ein: Zum Beispiel 2004 die ursprünglich deutsche Musiksoftwareschmiede Steinberg sowie 2007 Bösendorfer, den österreichischen Hersteller von Wohlklang-Pianos.